Neues herausragendes Sci-Fi-Highlight

An einem schicksalshaften Nachmittag, weit vor dem Release-Datum, trudelte tatsächlich und völlig unerwartet ein Review-Key für The Alters in meinem Postfach ein! Und natürlich war der erste Reflex: Download starten + alles andere vergessen! Denn The Alters hatte ich seit dem Reveal auf meiner Wunschliste, hab viele Stunden im Playtest verbracht und konnte es praktisch nicht erwarten, die ganze faszinierende Welt und die tiefgehende Story im Ganzen zu erleben.

Die Entwickler von This War of Mine oder auch Frostpunk haben mich zudem bisher nie enttäuscht. Man erlebt emotional packende Storys, genießt mutiges Game Design und erhält mehrfach ausgezeichnete Meisterwerke mit diesem besonderen, reflektierenden Ton, den 11 bit studios immer zielsicher zu treffen scheint. Und jetzt also The Alters, ein Sci-Fi-Abenteuer mit Base Building, Survival-Elementen und ordentlich philosophischem Tiefgang, der vor allem die Frage stellt: Was, wenn du dich selbst klonen könntest? …oder sogar müsstest?!

Was wäre wenn?

Stell dir vor, du strandest allein auf einem tödlich verstrahlten Alien-Planeten. Okay, das wäre schon schlimm genug. Aber The Alters geht noch weiter: Du bist nämlich nicht wirklich allein, sondern in Gesellschaft von allen möglichen alternativen Versionen von dir selbst! Und die sind… sagen wir mal „nicht ganz ausgeglichen“. Willkommen bei einem Sci-Fi-Survivalspiel, das wie eine Gruppentherapie im All wirkt und dabei erstaunlich gut funktioniert.

Im Zentrum von The Alters steht Jan Dolski – kein Held, kein Superhirn, sondern ein einfacher Minenarbeiter. Er wäre verloren gewesen, hätte er nicht eine Methode gefunden, alternative Versionen von sich selbst zu erschaffen. Diese Klone sind er selbst, nur eben jedes mal etwas anders. Beim Klonen wird nämlich jeweils eine Kernentscheidung aus Jans Leben verändert, die ab dem Zeitpunkt alles verändert. Was wenn er nicht weggelaufen wäre, sondern sich in der einen Situation gewehrt hätte? Und jede dieser Versionen bringt von daher auch neue Fähigkeiten aber auch neue Persönlichkeiten und neue Bedürfnisse mit.

Diese Alters sind also keine 1:1-Klone. Es sind echte, emotional und teils mental herausgeforderte Individuen, die du selbst sind (multiverse Grammatik ftw! \o/), aber in anderen Varianten. Einer ist ein Nerd, der Technik liebt, aber mit Menschen nicht klarkommt. Ein anderer will einfach nur Serien schauen und essen. Du leitest also ein Team aus dir selbst, mit allen Problemen, die du kennst oder die du in deinen anderen Ichs erlebt zu haben denkst. Den deine Alters sind ja gerade erst erschaffen worden und haben die Vergangenheit, an die sie sich erinnern, praktisch nie wirklich gelebt… oder doch?

Die erste Begegnung mit „Jan dem Techniker“ bringt auch gleich einen guten Schwung Emotionen mit sich. Er ist verwirrt und wütend, da er ohne seine Zustimmung in eine lebensfeindliche Umgebung geworfen wurde, nur weil ich ihn zum eigenen Überleben gebraucht habe. Solche Interaktion mit den eigenen Selbst-Reflexionenen macht The Alters so besonders. Man diskutiert mit sich selbst, teilt Erinnerungen und vergleicht Entscheidungen. Und plötzlich wird aus einem interessanten Gameplay-Element ein überraschend tiefgründiger Blick in die eigene Psyche.

Ein Abenteuer mit Strategie

Im Kern ist The Alters ein Survival-Zeitmanagement-Spiel mit Base Building, Ressourcenknappheit und der wunderbaren psychologischen Selbstzerfleischung. Reicht aber noch nicht, denn die Sonne des eh schon lebensfeindlichen Planeten ist eine zusätzlich drohende Gefahr und du musst dich ständig vor der alles versengenden Morgenröte in die Dunkelheit der Nacht retten.

Deine mobile Basis rollt also über die finstere Landschaft, immer auf der Flucht vor dem Licht und zwischenzeitlich farmst du Rohstoffe, erweiterst deine Basis und forschst an diversen Upgrades. Deine Basis wird so zur Schaltzentrale des Überlebens – nur doof, dass sich die anwesenden Mitarbeiter nicht immer ganz einig sind…

Deine verschiedenen Klone haben ihre Stärken und ihre Schattenseiten. Und so übernehmen sie im optimalen Fall die jeweils passenden Aufgaben: forschen, bauen, kochen, reparieren und man kann sie sogar auf Außeneinsätze schicken. Natürlich hilft man als „Original-Jan“ und Kopf der ganzen Truppe auch überall fleißig mit.

Wenn du Ressourcen brauchst, musst du raus und draußen ist es richtig ungemütlich: Biolumineszente Nebelfelder, tödliche Gase, radioaktive Sümpfe und viele weitere Gefahren, die in der Finsternis lauern. Jedes Gebiet ist wirklich wunderschön, aber auch wirklich wundertödlich. Du erkundest zu Fuß, platzierst Abbaustationen, verbindest Energiepylone und betest, dass dich kein Sturm erwischt. Aber wenn doch, flackert deine Basis, alle Sirenen heulen, Module brennen und deine Sicht wird Zusehens schlechter, ganz zu Schweigen von deiner Verstrahlung und Gesundheit! Dieses heillose Chaos und die hektische Gesamtstimmung haben mich interessanter Weise gleich an diverse U-Boot-Dramen erinnert (Die Rote Oktober und Das Boot lassen grüßen).

Exzellente Präsentation

Optisch wirkt alles passend klinisch-futuristisch mit einem ordentlichen Schwung meiner geliebten Alien-Melancholie. Endlich mal wieder ein Titel, der die Stärken der Unreal Engine 5 in Bestform zeigt. Ich habe wirklich selten ein so atmosphärisches Setting gesehen! Der fremde Planet wirkt real, bedrohlich und wunderschön zugleich. Besonders bei stürmischen Außeneinsätzen entfaltet das Spiel seine volle visuelle Wucht. Licht, Effekte, Animationen und nicht zuletzt der Sound – alles ist auf einem extrem hohen Niveau, das locker mit „den Großen“ mithalten kann.

Als Spieler hätte ich mir gewünscht, dass man auch innerhalb der Basis per Tastendruck auf die Weltkarte zugreifen kann, aber dann viel mir auf, dass das ja gar keinen Sinn ergeben würde! Denn Jan hat kein Hightech-Implantat im Kopf oder irgendein Visier vor den Augen. Er muss tatsächlich zu der Station gehen, an der er die Karte sehen kann. Mir gefallen solche durchdachten Details an den richtigen Stellen, selbst wenn ich auch großer Fan von guten Quality-of-Life-Mechaniken bin (in Firewatch habe ich auch absichtlich den Kartenmarker ausgeschaltet, denn Henry würde diesen ja nicht auf seiner Papierkarte sehen).

Der Soundtrack stammt vom Komponisten von This War of Mine und ist dezent, emotional und rundum sehr passend. Die gesamte Soundkulisse unterstützt das Spielgefühl hervorragend und sorgt immer für die jeweils passende Stimmung.

Die Sprecherinnen und Sprecher klingen weitestgehend passend emotional, aber die Lippenbewegungen passen oft nicht zur Vertonung, was gerade bei den ganzen Dialogen schon störend auffallen kann. Hinzu kommt dass der Sprecher von Jan zwar sehr gute Arbeit macht, die ganzen Versionen unterschiedlich klingen zu lassen, die anderen Figuren aber oft sehr hölzern klingen, als würden sie von einem Skript ablesen oder einen Teleprompter vor sich haben.

Das Interface ist aber hervorragend gestaltet, durchweg informativ und vor allem extrem schnell. Man kommt sofort zu den gewünschten Menüpunkten und Übersichten, was gerade bei dem Augenmerk aufs Zeitmanagement ein durchaus wichtiges Detail ist. Stilistisch überzeugt es ebenfalls: Ein futuristisch-cleaner Look, so wie man sich ihr in einem SciFi-Spiel wünscht, aber mit „Hot Pink“ als mutiger und genialer Hauptfarbe!

Identität, Tiefe und Innovation

Nach vielen Spielstunden mit der Vorabversion von The Alters kann ich mit voller Überzeugung sagen, dass dieses Spiel mich nicht nur überrascht sondern durchweg begeistert hat! Der Einstieg ist gewollt langsam, aber sobald man alles beigebracht bekommen hat und ersten eigenen Entscheidungen trifft, entfaltet sich ein Erlebnis, das sowohl narrativ als auch spielerisch sehr außergewöhnlich ist.

The Alters stellt Fragen, die uns alle betreffen. Es zwingt uns, über uns selbst nachzudenken und verpackt all dies in einem durchdachten, wunderschönen und fesselnden Spiel. Für mich ein klares Indie-Highlight des Jahres und ich freue mich riesig darauf, die Release-Version des Spiels in meinen Livestreams durchzuspielen.

11 bit studios hat mal wieder ordentlich Mut und Ideenreichtum bewiesen und mit The Alters ein innovatives und sehr gelungenes Spiel abseits des üblichen Mainstreamzeugs erschaffen. Wenn du Sci-Fi liebst, emotionale Stories verträgst und Strategie und Survival samt interessantem Base Building bevorzugst, dann ist The Alters ein absoluter Pflichtkauf, denn alle Versionen von YetiFrood empfehlen dieses sich aus der üblichen Masse abhebende Indie-Meisterwerk.

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YetiFrood

YetiFrood

YetiFrood ist Twitch-Streamer und selbständiger Content Creator mit einem großen Herz für Indiegames. Mit einem offenen Blick für besondere Spiele teilt er auf dieser Website seine ehrliche Meinung zu all den charmanten Pixelpartys, atmosphärischen Storyabenteuern oder auch packenden Sci-Fi-Welten aus den unterschiedlichsten Genres. Immer mit viel Herz, Humor und einer großen Portion Leidenschaft für besondere, grandiose und oft sogar herausragende Spiele.